Die Verführung ist ein(e) WienerIn

DIE VERFÜHRUNG IST EIN(E) WIENERIN
BY JACK SACHER ©
Text für die STREICHELWURST das Magazin
Dezember 2011

Bild: „Schlaraffenland“
Gemälde von Pieter Bruegel der Ältere (1567)

Als ich jünger war, ließ ich mich oft verführen – es gab nichts was mich nicht verführt hätte. Nun war es zwar zeitweise ganz schön, jeder Verführung nach zu gehen, jedoch führte dies nicht zu echtem Glück und dauerhafter Entzückung. Daher mussten andere Wege beschritten werden.
Ich hatte mich entschieden, das Gegenteil vom allem, was ich bisher getan hatte, zu tun. Das bedeutete in meinem Fall, keinen bis wenig Sex, keine Drogen, wenig Alkohol, kein Drama mit Menschen die ich liebte oder dachte sie zu lieben und keine Zigaretten. All das gestaltete sich zu Anfangs sehr schwierig, da ich all diese Dinge bis dahin maßlos genoss. Mein neues Verhalten führte zur Frustration und zu Rückfällen, die wieder eine Frustration auslösten. Es hatte also nur ein neuer Teufelskreis begonnen und ich merkte schnell, dass mein Vorhaben ohne Ersatz nicht funktionierte. Aber welchen Ersatz hätte ich für all die schönen Verführungen finden können? Was gab es denn noch? Mir fiel leider nichts Besseres ein als das Essen und der Sport. Ich wurde schnell in deren Bann gezogen und merkte, welch starke Macht sie auf mich ausübten. Zum einen der Sport: der ideale Ersatz für die sexuelle, körperliche Befriedigung und Betätigung. Nach dem Sport folgte nicht das emotionale Drama und ich musste mich nicht beschämt aus einer peinlichen Situation schleichen. Im Rausch sahen die Welt und vor allem die Menschen doch immer viel besser aus, was manchmal zu einem Schock führte, wenn die Nüchternheit und der Kater einsetzten und die Erinnerung an die letzte Nacht sehr verzerrt und schleierhaft war. All das fiel weg, weil beim Sport klar ist, ich mach’s wieder und möchte es auch wieder machen und es schadet mir und vor allem meinem emotionalem Gleichgewicht und meiner Psyche nicht. Und danach fühlte ich mich auch noch gut, obwohl ich keinen Orgasmus hatte. Tolle Sache dieser Sport.

Was das Essen anging, war die Verführung weitaus größer und nahm ungeahnte Dimensionen an. Das Futter offenbarte sich mir wie eine der schönsten Frauen in eingeöltem Körper mit unglaublichen Penissen und Möglichkeiten der Befriedigung, die mich nur staunen ließen. Es tat sich ein Geschmacksparadiesgarten auf, der wie aus dem Film „Yellow Submarine“ aussah und es war ein sinnlicher Genuss, der größer war, als beim Verzehr der KönigIn aller Speisen, der „Souzeraine“. Der einzige Nachteil an dieser neuen Entdeckung war, dass ich ziemlich schnell zehn Kilo zulegte. Ich fühlte mich zwar besser, hatte keine Dramen und Depressionen mehr, war aber nun ein fetter Mops obwohl ich viel Sport trieb. Schwierig war diese neue Lebensart. Ich dachte darüber nach wieder zu meinem alten „Muster“ zurück zu kehren, um wieder in meine alte Form zu finden. Aber ich tat es nicht, weil ich mich als dicker Mops trotzdem besser fühlte als davor. Nun blieb nur eines: ich musste lernen der Verführung, die das Essen (und ich meine wirklich gutes Essen) für mich darstellte, zu widerstehen oder es zumindest mit Maßen genießen zu können. Ich konnte ja zuvor schon schwer Maß halten mit all den verführerischen Angeboten. Wenn Drogen genommen wurden, musste es immer eine Unmenge sein (das ich noch lebe, kann ich mir selbst schwer erklären), wenn getrunken wurde dann immer bis zum Gang aufs Klo um einen Vormittag über der Kloschüssel zu hängen. Beim Sex
musste es zumindest einen Tag oder eine Nacht dauern, sonst war es mir zu wenig. Zu wenig also – immer viel zu wenig! So war das beim Essen auch: wenn verschiedene Gerichte gekocht wurden, dann gab es immer viel zu viel. Was bleibt übrig, wenn es traumhaft schmeckt? Außerdem backt man eine ganze Torte und nicht nur ein Stück. Zu meiner persönlichen Verwunderung musste ich mir eingestehen, dass ich eine wirklich große Gabe für das Kochen hatte.
Ich war kreativ in der Gestaltung der verführerischsten Rezepte und meine Kreationen trafen meist den Punkt – ich würde sagen den GPunkt des Geschmacks. Also immer, wenn eine Speise ein Ahhh…(geht unendlich so weiter) auslöste bei der Person, die sie aß, war sie von mir zubereitet. Meine Leidenschaft vertiefte sich sogar noch – ich entdeckte mein Talent für das Backen von wirklich sündhaft schmeckenden und kalorienreichen Kreationen deren Verzehr mich in einen orgasmusähnlichen Zustand versetzte. Es war unglaublich, wie konnte ich so alt werden ohne jemals richtig gekocht zu haben? Es gab nur einen Weg: ich musste ein Restaurant eröffnen um zu sehen, dass alle Anderen auch in den Genuss meiner Kochkunst kamen und genau so fett würden wie ich selbst!
Nun eröffnete ich das Restaurant mit dem wunderbaren Namen „Vienes Sedduccion“, was so viel bedeutet wie „Wiener Verführung“. Es schlug ein wie ein Granatapfel und mein Plan, die Menschen fetter und fetter zu machen, ging voll auf. Die ganze Stadt kam zu mir und es schien, als ob alle den Sex und die Drogen satt hatten, um bei mir ihrem tiefsten und urigsten Trieb nach zu gehen und zu essen wie sie noch nie gegessen hatten. Es war wunderbar, wie die Leute immer fetter wurden – es entzückte mich bis in die tiefsten Abgründe meiner Seele und ich hatte nie zuvor so großes Glück empfunden. Die Models gaben ihren Job auf, um einmal bei mir essen zu können. Die Stars und Politiker gaben ihren Kokainkonsum auf, um einmal wieder richtigen Appetit zu haben und um zu schmecken. Und die Junkies nahmen kein Heroin mehr, weil sie auf gar keinen Fall mein vorzügliches Essen wieder heraus speiben wollten. Ohne dass ich es wollte, wurde ich für das Antidrogenprogramm der Stadt eingesetzt. Und zu mir wurden alle schweren Fälle geschickt, die alle ohne Schwierigkeiten von ihrer Drogensucht befreit werden konnten, um in ihrer neuen Sucht nach meinem Essen voll auf zu gehen.

Die Stadt stand unter dem Stern einer großen Veränderung. Es war unglaublich, was ein einziges Restaurant in einer Stadt bewirken konnte. Und das war nur mein Verdienst. Leider bekam die Mafia bald Wind davon und das war wohl mein Ende, wie ich dachte. Sie kamen zu mir und machten mir klar, dass sie keine so großen Einbußen beim Drogengeschäft hinnehmen wurden. Entweder ich beteilige sie am Antidrogenfressprogramm oder sie pflastern die Straße mit meinen Haaren! Oh Gott, das war wirklich eine schlimme Drohung, war doch das einzig Schöne an mir meine Haare – alles andere früher reizvolle an meinem Körper versank ja jetzt unter meinen riesigen Fettwülsten, die sich wie Berge empor erhoben. Das konnte ich mir unmöglich gefallen lassen! Ich beschloss, sie einfach zu kochen! Ich entwickelte sofort neue Rezepte in meinem Kopf während ich sie mir ansah und mir vorstellte, was ich mit ihren Körperteilen alles kochen könnte. Das würde ein Festmahl werden! Menschenfleisch.
Wegen meines Erfolges mit „Vienes Sedduccion“ hatte ich viele Fans und bedingungslose VerehrerInnen, die zweifelsohne bereit waren, alles für mich zu tun – ich musste es nur sagen. Drei meiner größten AnhängerInnen bekamen also den Auftrag, durch eine List der gesamten Mafia auf schonende Art das Leben zu nehmen. Wir wollten ja auf keinen Fall zu viele Stresshormone in dem Fleisch. Kurz danach blieb mir also nichts anderes, als ein großes Fest anzukündigen mit dem klangvollen Titel:„La comida excepcional de Vienes Sedduccion“ lädt ein bei einem besonderen Essen dabei zu sein.
Alle kamen und wir aßen die ganze Mafia mit einem unglaublichen Genuss und den besten Beilagen, die sich ein Mensch nur vorstellen kann, einfach auf. Ihr Fleisch war köstlich und wurde in geheimer Machart unter der Erde tagelang gegart. Und das war nicht der Himmel und auch nicht das Schlaraffenland – es war in einer Stadt an einem geheimen Ort nahe dem Meer, den niemand findet, wenn man nicht schon dort ist.
„Vienes Sedduccion“!
© JACK SACHER

Author: JACK

jack[at]jacksacher.com